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Die Visitenkarte im Zeitalter von Facebook und Google

Eine Sitte aus längst vergangenen Zeiten, als Besucher sich noch per Butler beim Herrn oder der Dame des Hauses ankündigten, hält sich erstaunlicherweise wacker im IT-Berufsalltag: der Termin-Initiationsritus des Tauschs von Visitenkarten (obschon diese sicher bald nur noch „Business Cards“ heißen werden).

Im Zeitalter ununterbrochenen Online-Seins, virtualisierter sozialer Netzwerke und sekundenbruchteilschneller Google-Suche sollten kleine rechteckige Pappkärtchen mit Kontaktinformationen eigentlich so überholt sein wie Runeninschriften, Wählscheibentelefone oder die FDP. Sind sie aber nicht. Und so beginnen Termine selbst in der ach-so-modernen IT-Branche mit jenem Rituälchen, das der Verfasser dieser Zeilen gerne „YuGiOh-Kartentausch“ nennt.

Visitenkarten. Weil man sonst im Internet nicht auffindbar ist. Bild: Wolfgang Traub

Visitenkarten. Weil man sonst im Internet nicht auffindbar ist. Bild: Wolfgang Traub

Zwar gibt es immer mal wieder Ausnahmen, so etwa der Chef eines Unternehmens, der seine Visitenkarten „gerade nicht dabei hat“, damit nicht Hinz und Kunz seine Mobilfunknummer erfährt; der smarte Hipster, der sich einen Spaß daraus macht, einem einfach ein Kärtchen mit seinem Twitter-Handle zu überreichen, quasi als postmodernes Zitat eines antiken Literaturgenres; oder aber – auch immer wieder gern genommen – der Neuling im Unternehmen, der noch keine Visitenkarten hat, weil das mit dem Drucken von Farbe auf Pappkarton eben auch beim revolutionären coolen Startup ein paar Tage dauert.

Der Regelfall aber sind nach wie vor die guten alten Visitenkarten, wobei man sich allerdings des Eindrucks nicht erwehren kann, dass die dort aufgeführten Angaben von Jahr zu Jahr unhandlicher werden. In Kürze dürften wohl nur noch ausklappbare Visitenkarten – sorry: ich meinte natürlich „Fold-out Business Cards“ – im Umlauf sein.

Denn wer für den Vertrieb eines Produkts in Deutschland, Österreich und der Schweiz zuständig ist, dessen Kärtchen wies ihn früher einfach als „Vertriebsleiter DACH“ aus. Heute hingegen liest man dort „Senior Regional Sales Manager CEMEA“ oder etwas ähnlich Neudeutsch-Verquastes. Das Akronym-Ungetüm „CEMEA“ steht dabei übrigens für „Central Europe, Middle East, and Africa“. Denn für eine US-Firma liegen Europa, der Nahe Osten (der aus US-Perspektive ein „mittlerer“ ist) und Afrika eben „irgendwo da drüben hinter dem Vatikan“. Da die DACH-Region angeblich mittendrin liegt, pappen wir ein „C“ davor, dann passt das schon. Und weil europäische Anbieter in der IT-Branche offenbar glauben, alles aus den USA Herüberschwappende gierig aufsaugen zu müssen, plappern sie das pseudogeografische Kauderwelsch einfach nach.

Gleiches gilt für die umständlichen Positionsbezeichnungen, herrscht doch insbesondere bei börsennotierten US-Unternehmen eine komplexe Hackordnung, in der jeder Job mit seinen eigenen Gehaltsstufen, Aktienoptionen und Zusatzvergünstigungen versehen ist. Und so findet man auf den bunten kleinen Kärtchen neben dem allgegenwärtigen „Manager“ und dessen Beifang, dem „Assistant Manager“, so schöne Titel wie „Regional Manager“, „Senior Manager“ (kein Rentnerverwalter, sondern ein leitender Angestellter), darüber den „Director“ und – man ahnt es – den „Senior Director“, noch weiter oben auf der Hühnerleiter folgt der „Vice President“ sowie der – dramatische Pause, einen Tusch bitte! – „Senior Vice President“. Ganz zu schweigen von den „C-Level“-Auserwählten, also den „Chief Irgendwas Officers“, deren Häuptling dann wiederum der „Chief Executive Officer“ ist. Oder der „Chief Hackordnungs-Officer“, da bin ich mir nicht ganz sicher. Literarisch Interessierte erinnert dies an die „typisch deutsche“ Gesellschaftshierarchie in Heinrich Manns rabenschwarzem Kaiserreichs-Roman „Der Untertan“, in dem jeder jemanden über und unter sich hat – und wer ganz unten steht, der hat wenigstens noch einen Dackel namens „Männe“.

Eine interessante Ausnahme in dieser Rangordnungspyramide bildet der insbesondere bei amerikanischen IT-Konzernen anzutreffende „Technology Evangelist“. Hier handelt es sich um jemanden, der sich in einer bestimmten Technik – sorry, es muss natürlich heißen: „Technologie“ – so wahnsinnig gut auskennt, dass er völlig aus dem Raster fällt und gleichsam jenseits aller starren Strukturen nur noch dazu da ist, dem unwissenden Fußvolk den Reiz der jeweiligen Technologie zu predigen. Denn wahrlich, ich sage euch, es wird regnen Einsen und Nullen vierzig Tage lang, und unseren Kunden wird’s der Herr geben im Schlaf, bei allen anderen aber wird sein ein großes Heulen und Zähneklappern! Oder so.

Wobei in unseren politisch korrekten Multikulti-Zeiten durchaus zu fragen wäre, warum es nur IT-„Evangelisten“ gibt. Wo bleibt denn bitte, fragt sich der in Bayern ansässige Verfasser, der „Technology Catholicist“? Der „Technology Rabbi“ und der „Technology Imam“? Wo die buddhistische, hinduistische und heidnische Variante? Wie erfährt der in Glaubensfragen Skeptische von all den Segnungen der schönen neuen IT-Welt? Und wie der computerinteressierte Satanist?

Dies fragt sich

Dr. Wilhelm Greiner
Chief Senior Information Technology Agnostic CEMEA und ROW
Mitteilerei, Inc.

P.S.: „ROW“ heißt übrigens „Rest of World“. Und: Nein, diese Abkürzung habe ich mir nicht ausgedacht. Leider.

 

 

Der Chefkoch empfiehlt heute: IT-Buchstabensalat mit Akronym-Dressing

In der Fachsprache der IT – wie in jeder Fachsprache, aber man erhält schnell den Eindruck, in der IT ganz besonders – wimmelt es nur so von Akronymen. Das fängt schon damit an, dass „IT“ selbst ein Akronym ist, steht es doch für das englische „Information Technology“ und damit radebrechend eingedeutscht für „Informationstechnologie“. Denn ein Akronym – wie jeder Bildungsbürger mit humanistischer Erziehung weiß, aber ebenso jeder, der in der Lage ist, „Akronym“ korrekt in die Browser-Zeile zu tippen und dann den Wikipedia-Eintrag zu lesen – ist ein Kurzwort, das aus den Anfangsbuchstaben anderer Wörter besteht. Oder, auf eine einfache Formel gebracht: „Abk.“ ist eine Abkürzung, „EDV“ ist ein Akronym.

130508Akronym

Akronyme sind verbreiteter, als man zunächst denken mag, man denke nur an den ADAC, PVC oder den FC (hier Fußballverein nach Wahl einfügen). Der Verfasser dieser Zeilen hegt sogar den Verdacht, dass das so oft gedankenlos dahingesagte Wort „Europa“ ein Akronym ist, und zwar für „Extrem unübersichtliche Regierungsorganisation zur Produktion von Agrarsubventionen“. Im IT-Kauderwelsch sind Akronyme nochmals häufiger als im deutschen oder europäischen Alltag, und zwar gefühlt um den Faktor zehn.

Die meisten Akronyme, wie eben „IT“, spricht man als Buchstabensalat aus. Die praktischste Variante von Akronymen hingegen sind jene, die selbst wieder ein ganz normales (Kunst-)Wort bilden, zum Beispiel „LAN“. Hinzu gesellen sich Mischformen aus Buchstabensalat und Kunstwort wie etwa „WLAN“ sowie Akronyme, die eigentlich als Folge einzelner Buchstaben gesprochen werden, die aber ein besonders alberner Mensch – der Verfasser dieser Zeilen hingegen niemals! – scherzhaft als Wort aussprechen könnte, zum Beispiel „UMTS“.

Einen akuten Fall von Akronymitis hat der derzeitige Trend zur mobilen IT-Nutzung ausgelöst, oder genauer der daraus in Unternehmen entstandene Bedarf an Verwaltungswerkzeugen zur Bändigung der neuen mobilen Unübersichtlichkeit. Da gibt es MDM (Mobile-Device-Management), MAM (Mobile-Application-Management), MIM (Mobile-Information-Management), MSM (Mobile-Security-Management) und so weiter und so fort bzw. usw. usf.

Nach Berechnungen des VdZ (Verfassers dieser Zeilen) werden die Marketiers der „Mobile-was-auch-immer-Management“-Anbieter in spätestens 17 Monaten das gesamte Alphabet ausgeschöpft haben, von MAM bis MZM (Mobile-Zucchini-Management). Dann werden die Akronymschöpfer wahrscheinlich in bewährter Manier auf mehr-als-dreistellige Akronyme ausweichen, getreu jenem altbekannten Werbeslogan: „Wollt ihr MDM? – Nein! – Wollt ihr MAM? – Nein! – Was wollt ihr denn? – Mobile Accountability & Open Access Management!“

Die überflüssigsten IT-Listen des Jahres 2012

Der November trübdümpelt seinem verdienten Ende entgegen, der Dezemberanfang zeichnet sich trotz Dauernebels am Horizont ab. Da weiß der IT-Redakteur: Ja, es ist wieder jene Zeit des Jahres, in der IT-Unternehmen und deren PR-Agenturen Jahresrückblicke und Folgejahresprognosen in die wilde weite Welt hinausposaunen, am liebsten in Listenform.

Da hilft nur eines: Die beste (weil nämlich listenunfreundlicherweise einzige) ZZ-Top-Neuerscheinungsscheibe des Jahres auflegen und zum Soundtrack von „I Gotsta Get Paid“ im Spam-Filter schon mal präventiv folgende Formulierungen auf die Blacklist setzen:

1. Die 101 überflüssigsten Apple-Zubehör-Gadgets des Jahres 2012.

2. Die 700.000 lustigsten LOLcat-Fotos

3. Die acht am originellsten geformten In-Ear-Kopfhörer.

4. Die 20 spannendsten Unboxing-Videos des Jahres.

5. Zwölf Juristen-Kommentare zum Apple-Samsung-Patentstreit, die Sie gelesen haben sollten.

6. Die 25 meistverkauften Windows-Smartphones 2012.

7. 100 Facebook-Privacy-Einstellungen, die Sie getrost ignorieren können.

8. Die zehn logischsten Begründungen, warum sich die Cloud nie durchsetzen wird.

9. Die garantiert und ganz bestimmt 20 kritischsten Sicherheitslücken des kommenden Jahres.

10. Hundert einmalige Reiseziele für 2013, und wie Sie mit Hilfe der Apple Map App dorthin gelangen.

Ganz besonders unnötig wäre es natürlich, die überflüssigsten IT-Listen des Jahres 2012 in Listenform zusammenzustellen. Aber wer würde so einen Blödsinn schon machen?

Gossenpresse-Entsorgungstipps: „Bild“ im Briefkasten – was ist zu tun?

Am Samstag, den 23. Juni 2012 wollte der Springer-Konzern die so genannte „Bild“-„Zeitung“ aus irgendeinem Anlass, der mir gerade entfallen ist, an alle deutschen Haushalte verschicken. Natürlich habe ich mich rechtzeitig vorbereitet und meinen Briefkasten mit einem Hinweisschild versehen, mit welchem ich gut sichtbar darum bat, das oben genannte Machwerk hier nicht einzuwerfen.

Wenn es dem geneigten Leser so ging wie mir, dann hat der Machwerkzusteller – getrieben von Faulheit, Ignoranz oder vielleicht auch von Analphabetismus, ich weiß es nicht – diesen Hinweis missachtet. Beim Öffnen des Briefkastens findet man dann einen schrumpeligen Haufen Papier spinnengleich in der Ecke lauernd vor. Zwei, drei Tage lang kann man diesen unschönen Zustand vielleicht ignorieren, dann aber steht der unfreiwillige Empfänger vor der Frage: Was ist zu tun, um die Briefkastenverschmutzung wieder zu beseitigen?

Zunächst einmal muss ich alle Apple-Jünger enttäuschen: Nein, dafür gibt es leider noch keine App. Die Drecksarbeit bleibt auch im Cloud- bzw. iCloud-Zeitalter noch am Endanwender selber hängen. Deshalb folgen hier zehn Tipps für die fachgerechte Entsorgung:

1. „Bild“ zählt zur Gattung des so genannten „Boulevard-Journalismus“. Der „Boulevard“ ist eine Prachtstraße, an dessen beiden Randsteinen eine so genannte „Gosse“ verläuft, aus der diese Art Zeitung einst herausgekrochen war, daher der Name. Aus diesem Grund darf man „Bild“ nicht einfach im Briefkasten vermodern lassen, das wäre unhygienisch! Deshalb: Ekel überwinden, Ärmel hochkrempeln und los! Da muss man durch.

2. Zur Entsorgung von „Bild“ empfiehlt es sich, robuste Haushaltshandschuhe zu tragen, wie es sie in jedem Supermarkt, Baumarkt oder in der Drogerie zu kaufen gibt. So lässt sich der direkte Hautkontakt vermeiden, besonders wichtig für Menschen mit Gossenschmutzallergie. Das Tragen eines Mundschutzes ist in der Regel nicht unbedingt nötig, mag in Einzelfällen aber sinnvoll sein. Im Zweifel fragen Sie bitte Ihren Arzt oder Apotheker.

3. Alte Zeitungen gehören ins Altpapier, das ist bekannt. Wie aber steht es um mit Unrat bedrucktes Zeitungspapier? Die Logik sagt: Auch dies gehört in die Altpapiertonne. Allerdings muss ich zugeben, beim Entsorgen – man mag es einen Reflex nennen – „Bild“ zum übrigen Unrat in die Mülltonne verfrachtet zu haben. Ich war mit dieser spontanen Entscheidung im Nachhinein recht zufrieden und kann dieses Vorgehen deshalb nur weiterempfehlen. Manch ein Besserverdiener mag versucht sein, für diesen Zweck kurzfristig einen Machwerkentsorgungs-Butler einzustellen. Ihm wird aber dann das wohlige Bauchgefühl entgehen, wenn der Mülltonnendeckel sich klappernd schließt und der Unrat auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist.

4. Unabhängig davon, welche Art von Tonne man wählt: Wichtig ist, das Machwerk möglichst nur mit zwei gummihandschuhgeschützten Fingern anzufassen und den Arm gestreckt zu halten, um für möglichst großen Sicherheitsabstand zum Machwerk zu sorgen. Die Frage, ob dabei der gummihandschuhgeschützte kleine Finger abgespreizt werden sollte, ist unter Stilberatern umstritten. Hier gilt also: Es möge jeder nach seiner Facon entsorgen. Aber bitte nicht bei der Entsorgungsaktion mit der freien Hand demonstrativ die Nase zuhalten – das wäre kindisch.

5. Den Briefkasten sollte man anschließend mit einem geeigneten Reinigungs- oder Desinfektionsmittel gründlich säubern. Die Wahl des Mittels hängt natürlich vom Material des Briefkastens ab. In Zweifelsfällen kann es sich lohnen, beim Fachmann um Rat zu fragen: „Bei mir lag eine Bild-Zeitung im Briefkasten. Reicht zum Säubern ein normaler Haushaltsreiniger oder nimmt man besser einen Sanitärreiniger oder gar Sagrotan?“ Das geschulte Personal im Drogeriemarkt gibt hierzu sicher gern Auskunft.

6. In aller Regel ist ein Ersetzen des Briefkastens nicht erforderlich, eine gründliche Reinigung (siehe Punkt 5) sollte ausreichen. Die Gummihandschuhe sollte man aber sicherheitshalber sofort wegwerfen (nicht verbrennen, das stinkt)!

7. Wer aus Gründen seiner psychischen Hygiene mit den ersten sechs Schritten noch nicht zufrieden ist, muss natürlich zu drastischeren Maßnahmen greifen. Hier empfiehlt es sich, „Bild“ luftdicht in Plastik zu verpacken und bei der örtlichen Sondermülldeponie abzugeben. Fürsorgliche Entsorgungsunternehmer haben dort sicher einen Container für „Gossenpressereste“ aufgestellt. Einfach mal hinfahren und fragen!

8. Nach der Entsorgungsaktion Gesicht und Hände gründlich mit Wasser und Seife reinigen.

9. Jetzt erst mal ein Espresso, Bierchen, Süßkram oder ein gepflegter Wein – was man sich eben so gönnt, um sich für das Erledigen einer ekligen, aber notwendigen Aufgabe zu belohnen. Tief durchatmen, zurücklehnen, entspannen, genießen…

10. … und dazu dann nochmal das Antwortschreiben der Sängerin Judith Holofernes von der Pop-Band „Wir sind Helden“ lesen, in dem sie der Werbeagentur des Springer-Konzerns auf die Anfrage nach Mitwirkung an „Bild“-Werbung eine immer wieder lesenswerte Abfuhr erteilt: http://www.wirsindhelden.de/2011/02/1069/.

Und nächste Woche erklärt der nette Onkel dann, wie man ein iPhone desinfiziert, wenn man leichtfertig die „Bild“-App draufgeladen hat. (Für alle Apple-Feinde vorab der Hinweis: Nein, in diesen Tipps kommt das Wort „Hammer“ nicht vor!)

Voreilige Nachrufe

Das Hauptmerkmal unserer ach so postmodernen Epoche ist die Beschleunigung: Alles muss immer schneller gehen, dann nochmal schneller, dann noch schneller – als ob Moore’s Law für sämtliche Lebensbereiche zu gelten hätte. Das reicht von den Verkehrsmitteln über die Computer und Netzwerke bis hin zur News-Berichterstattung. In Krisen geraten die TV-Nachrichtensprecher immer mehr zu Twitter-Rezitatoren und YouTube-Kommentatoren. Wer hätte das gedacht, dass der gute alte Filmvorführer mal wieder in Mode kommt?

Nun ist kürzlich, wie sich dank der oben genannten Nachrichten-Beschleunigung in Schneller-als-des-Windes-Eile herumgesprochen hat, kürzlich der Apple-CEO, -Vordenker und -Design-Guru Steve Jobs von seinem Job als Firmenlenker zurückgetreten. Fast könnte man glauben, „His Steveness“ sei von seinem Jobs-Sein zurückgetreten, sprich: gestorben – allzu viele Kommentare zum Rücktritt klingen eindeutig wie Nachrufe.

Natürlich ist allseits bekannt, das Jobs seit Jahren mit Krebs kämpft und seit Februar aus gesundheitlichen Gründen sein Amt ruhen ließ. Das zeitweilige Ruhenlassen ist – für viele anscheindend tatsächlich überraschend – zum permanenten Ruhenlassen geworden. Aber, liebe Vorschnell-Nachrufer: Ruhenlassen ist nicht gleich Letzte Ruhe. Offenbar konnten es einige nicht abwarten, ihre längst in Schubladen gebunkerten Eulogien auf den Apple-Mitgründer endlich hervorkramen zu dürfen. Wenn das keine Beschleunigung ist: Steve Jobs geht in die Geschichte ein – nicht als genialer Firmenlenker, sondern als erster Mensch, der seine Nachrufe schon zu Lebzeiten lesen konnte.

Vielleicht liegt aber – zumindest hierzulande – auch einfach eine Verwechslung vor. Drum für die deutschen Vornachrufer zur Aufklärung: Der, der gestorben ist, war der mit den Gnubbelmännchen, nicht der mit den iPhones. Also Nachrufe für den mit den Gnubbelmännchen: ja; für den mit den iPhones: kommt noch früh genug.

Es wird Zeit für eine Nachrufentschleunigung. Und für die Frage: Was hätte der mit den Gnubbelmännchen wohl dazu gesagt?

Die Rolle des Journalisten in World of Warcraft

Kürzlich war ich vom Verband der deutschen Pressesprecher zu Microsoft und dort zu einer Podiumsdiskussion zum Thema „Zukunft des ITK-Journalismus“ eingeladen, um das Gamification-Konzept des neuen Social Networks auf  LANline.de vorzustellen. Hier wurde gar trefflich über integrierte Medienhäuser und Qualitätsjournalismus debattiert, und doch beschlich mich das leise Gefühl, über die Zukunft unserer Zunft nichts wirklich Zünftiges erfahren zu haben.

Betrachte ich zum Beispiel die Informationsbeschaffung eines Dreizehnjährigen (ich bin zwar keine 13 mehr, aber als Qualitätsjournalist hat man so seine Quellen…), dann fällt auf: Über das iPad 2 und konkurrierende Android-Tablets (sorry, Microsoft!) informiert man sich heute via Websites, Blogs, Produktrezensionen von Käufern auf Amazon und Social Networks. In Letzeren stellt man dann auch gerne selber gezielt Rückfragen. Hier lernt man als Teenager schnell, dass mancher Qualitätsjournalist nicht so neutral ist, wie man glauben möchte (manch einer scheint aus Cupertino ferngesteuert), dass auf Blogs oft hohe Fachkompetenz herrscht, gepaart mit teils hastigem Satzbau und schludriger Orthografie, und dass es verdächtig ist, wenn ein Produkt auf Amazon nur acht Bewertungen hat, diese aber einheitlich uneingeschränkt positiv sind. Doch damit lernt der Teenager umzugehen – während der Stuhl des Journalisten bereits mächtig wackelt.

Wie aber wird sich der heute Dreizehnjährige in fünf Jahren informieren, sagen wir: über das iPad 12, Android 8.1 (Codename „Chocolate-Frosted Sugar Bombs“) oder meinetwegen auch über Nokias Windows Phone 9? Werfen wir also einen Blick in die Qualitätsglaskugel.

Der dann Achtzehnjährige loggt sich bei „Amazon World of Warcraft“ ein und nimmt an einem Feldzug teil, in dem es darum geht, die Specs und Benutzbarkeit des neuen iPad 12 möglichst präzise herauszufinden. Er schleudert das Gadget (das übrigens – eine weitere Revolution! – nun DIN-A-2-Format hat) mit einem Katapult Hunderte Meter weit in den Wüstensand, um die Stabilität des Titan-Gehäuses zu testen, er hält es einem brennenden Phönix vor die Nase (Hält die Brandschutzbeschichtung, was sie verspricht?) und ersteigert auf E-Bay („an Amazon World of Warcraft Company“) ein Zauberschwert. Mit diesem versucht er – letztlich erfolgreich – die Bluetooth-Verbindung zu seinem Mobilfunk-Ohrring zu kappen. Drei Tage später gehört sein Team zu den 100, die den Tauglichkeitsgrad und die Specs am detailliertesten ermittelt haben, und er gewinnt ein virtuelles iPad 12. Dieses versteigert er auf E-Bay und erhält dafür soviel Geld, dass der Gewinn für ein reales X-Board reicht (das ist ein Tablet, das man auch als Snowboard verwenden kann).

Und wo ist der Journalist in diesem Szenario? Er sitzt auf Facebook (seit dem Platzen der Social-Media-Blase ebenfalls „an Amazon World of Warcraft Company“) in einem virtuellen Elfenbeinturm und debattiert immer noch über die Zukunft des Qualitätsjournalismus.