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Google Street View zwischen Datenschutz und depperter Debatte

Als IT-Journalist bin ich zwar intensiver Google-Nutzer, aber dem Anbieter gegenüber dennoch durchaus kritisch eingestellt – wie gegenüber jedem Konzern, der umfassend Daten über Benutzer wie auch deren Verhalten sammelt und auswertet. Deshalb begrüße ich Diskussionen um die Frage des Datenschutzes im Zeitalter digitaler Reproduzierbarkeit, Verfügbarkeit, Analysierbarkeit und Gegen-mich-Verwendbarkeit – wie Google, Facebook und viele andere Anbieter sie geradezu provozieren.

Mein Problem mit Googles derzeit heiß diskutiertem Straßenzüge-Abfotografier-Service Street View, der nun auch für deutsche Städte anlaufen soll, ist aber vor allem: Das Niveau der Debatte um Street View befindet sich auf einem so unterirdischen Niveau, dass selbst BP Mühe hätte, dorthin vorzudringen – von Entlastungsbohrungen ganz zu schweigen.

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Bild: Julian Bleecker

Was ist passiert? Google hat mit auf Autos montierten Rundumsicht-Kameras Straßenzüge abgelichtet, um Besuchern von Google Maps einen Eindruck der Umgebung geben zu können. Und nun schreien vielerorts Hausbesitzer auf: “Gemein, gemein, gemein! Die haben mein Haus fotografiert, das dürfen die nicht!”

Jedoch, liebe Hausbesitzer: Oh Graus, das dürfen sie. Weil’s nämlich nicht verboten ist. Anders als manche Leute zu glauben scheinen, haben nämlich Hauswände kein Recht auf Privatsphäre – weshalb Twitter-Nutzer Mario Sixtus in einem Tweet ironisch eine Grundgesetzänderung forderte: “Die Würde der Hauswand ist unantastbar.”

Ein anderer Twitterer, HerrKaliban, kommentierte trocken: “(Die) Leute jammern, dass Google ihre Straße fotografiert, holen aber das Fernsehen, um das Problem vor Ort zu zeigen.” Und dies, obwohl Google die Gesichter von Personen sowie Nummernschilder von Autos “verpixelt” (per digitaler Nachbearbeitung unkenntlich macht), um dem deutschen Datenschutzgesetz zu entsprechen.

Darüber hinaus können deutsche Hausbesitzer von Google inzwischen sogar eine Unkenntlichmachung ihrer Hausfassade fordern. Hier ein Beispiel für die lustige Logik der Begründung: “Durch den neuen Internetdienst können Kriminelle die Objekte in aller Seelenruhe betrachten. Sie können sehen: Wie ist das Haus gesichert?“, so der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt zur Frankfurter Allgemeinen. Street View aus dieser Motivation heraus einschränken zu wollen, ist ähnlich dumm wie die Idee, den Mobilfunk “bei Bedarf” abzuschalten, um Terroristen die Kommunikation zu erschweren: Man schüttet das Kind mit dem Bade aus.

Der Zeitung gegenüber äußerte der zitierte Polizeifunktionär übrigens anschließend Zweifel, “ob die neuen Möglichkeiten umgekehrt auch von der Polizei genutzt werden können”, denn es sei “rechtlich unklar, ob eine virtuelle Streifenfahrt möglich ist”. Eine solche “virtuelle Streifenfahrt” würde allerdings Echtzeit-Aufnahmen voraussetzen; die Google-Bilder hingegen werden einmal veröffentlicht und dann voraussichtlich jahrelang beibehalten. Hoffen wir also, dass die Polizei Streifenfahrten künftig nicht generell auf Google Maps verlagert. Sonst dürfte die Erfolgsquote kriminalistischer Kontrolle ebenfalls auf Tiefseebohrungs-Niveau sinken.

Die wirklich wichtigen Fragen wurden in der Diskussion um Street View hingegen noch nicht einmal angerissen:

* Wo waren all die protestierenden Leute, als die Bundesregierung still und leise das Bankgeheimnis abgeschafft hat?

* Tritt Ilse Aigner jetzt aus Google Maps aus?

* Wenn ich dagegen bin, dass meine Heimatstadt auf der Deutschlandkarte auftaucht – wo stelle ich einen Antrag auf Unkenntlichmachung?

* Kann ein Obdachloser fordern, dass seine Parkbank von Google verpixelt wird?

* Wenn eine scheußliche modernistische Fassade eh schon total verpixelt aussieht (Sie wissen, welche Art Haus ich meine), kann Google dann eine zusätzliche digitale Nachbearbeitung ablehnen?

* Haben, wenn das schon für Häuser gilt, dann auch Gartenzwerge ein Recht auf Anonymität und somit auf Verpixelung? Schrebergärtner aller Länder, vereinigt euch!

* Und vor allem: Welche modischen Accessoires sollte man tragen, wenn mal wieder das Google-Auto naht (Stichwort: Street-Wear Optimization, kurz SWO)?

Im Google-Zeitalter muss die dringliche Frage nach dem Ausgleich zwischen Verfügbarkeit nützlicher Informationen einerseits und dem Recht auf Schutz der Privatsphäre andererseits neu verhandelt werden. Aber bitte nicht so.

P.S.: Es gibt auch intelligente Diskussionsbeiträge, zum Beispiel diesen von Anatol Stefanowitsch auf wissenslogs.de.

(((Update 17.8.))) Genau auf den Punkt gebracht hat es heute Twitter-User Volker Weber: “Internetausdrucker können ab heute bei Google ihre Häuser markieren.” Auch die amerikanischen Warn-Labels auf CDs haben schließlich unter anderem bewirkt, dass Teenager Musik mit anstößigen Texten viel leichter finden können…

Social Media für die Personalsuche nutzen

Der Einsatz von Social Media hat in den Unternehmen schon große Verbreitung gefunden – mal auf “Eigeninitiative” von Mitarbeitern (so neben der Arbeit her und zum Schrecken besorgter Vorgesetzter und Datenschützer), mal gewollt und gezielt als weiterer Baustein für den Informationsaustausch im Unternehmen oder die Kommunikation mit Kunden und Partnern.

Social-Media-Plattformen wie Facebook und Twitter werden dabei in aller Regel unter Gesichtspunkten des Marketings und der PR wahrgenommen. Dabei gibt es allerdings noch eine ganze Reihe weiterer denkbarer Einsatzfälle: Diese reichen vom Support via Twitter über Mitgestaltung der Kunden am Produktdesign per Social-Software-Plattform bis hin zur Personalsuche auf Facebook oder Business-orientierten Social Networks wie Xing oder Linkedin.

Ein Best-Practice-Beispiel für Personal-Management und Recruiting via Social Network liefert IBM. Das überrascht nicht wirklich – IBM ist in Social-Media-Belangen in mancherlei Hinsicht Vorreiter, was hier schon mehrmals Thema war.

Auf der letzten CeBIT hatte ich (obschon ich erst jetzt Zeit finde, das mal aufzubereiten), ein nettes Gespräch mit IBM-Vertretern zu diesem Thema. Wie ich erfahren habe, unterhält IBM auf Xing unter dem Namen “Greater IBM Connection in Germany” eine eigene Gruppe speziell und ausschließlich für ehemalige IBM-Mitarbeiter (im Lateinischen wie auch im Englischen “Alumni” genannt), also zum Beispiel frühere Werksstudenten sowie Mitarbeiter, die das Unternehmen verlassen haben, oder auch IBMer im Ruhestand).

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Interessant sind die beachtlichen Zahlen: Im Frühjahr hatte die Gruppe 9.207 Mitglieder und es gab knapp 800 veröffentlichte Artikel – also weit mehr, als manch andere Xing-Gruppe vorzuweisen hat. Neben der Xing-Gruppe nutzt IBM für den Kontakt mit Ehemaligen auch weitere Social-Plattformen: einen Greater IBM Twitter-Account, einen YouTube-Kanal, Flickr-Bildergalerien sowie einen englischsprachigen Blog.

In einem Blog-Beitrag beschreibt Mitarbeiter Christian Koester die Zielsetzung der Greater IBM Connecntion: “Unsere Vision ist eine Community, die Menschen mit den unterschiedlichsten Potenzialen und Erfahrungen in einem innovativen Dialog verbindet. Unsere Mission ist es, eine Plattform für frühere und aktuelle IMBer zu schaffen, die aktives Networking mit exklusiven Inhalten verknüpft.”

Im Vorfeld hat IBM die Motivation ehemaliger Mitarbeiter, einem Alumni-Netzwerk beizutreten, in Form einer Studie untersucht: “Die wichtigsten Gründe für einen Beitritt waren demnach die Erweiterung des persönlichen Netzwerks, die Kontaktpflege zu ehemaligen Kollegen sowie die Versorgung mit aktuellen und exklusiven Infomationen zur IBM”, so Koester im Blog. Die Greater IBM Connection biete deshalb exklusive, redaktionell aufbereitete Inhalte zu IBM und zur IT-Branche insgesamt sowie zu den Community-internen Aktivitäten. Zudem gebe es moderierte Foren und ein Karriere-Center.

Dieses Vorgehen ist ein Beispiel für eine sehr intelligente Nutzung der Möglichkeiten von Xing, Twitter und Co. Denn für ein Unternehmen, das im weltweiten Wettbewerb auf hochqualifiziertes Fachpersonal angewiesen ist, ist ein aktives Alumni-Netzwerk sehr nützlich, um Kontakte zu ehemaligen Kollegen zu erhalten und zu pflegen.

Intelligente Social-Network-Nutzung kann einem Unternehmen im Idealfall die Investition in einen Headhunter ersparen – zumindest, wenn es, wie IBM, in Sachen Social Media über die reine Produktvermarktung hinausdenkt.

Social Media versus Tyrannosaurus CeBITus

Original: 4.3.2010 –

Letzte Woche habe ich die CeBIT in einem Blog-Eintrag eher am Rande als “Veranstaltungs-Dinosaurier” bezeichnet. Andernorts hat man offenbar eine ähnliche Meinung von dem in Schmuddelwetter ergrauten Hannoveraner Messe-Rentner: Mit “Der Dinosaurier der IT-Messen” war zwei Tage später ein Beitrag auf Zeit.de überschrieben.

Das kann natürlich Zufall sein – wahrscheinlich wird alle 1,7 Sekunden irgendwo im Web irgendetwas auf zwei Websites praktisch zeitgleich als “Dinosaurier” bezeichnet. Kann Zufall sein, muss aber nicht.

Denn wenn man – wie ich als IT-Redakteur am Dienstag und Mittwoch praktisch gezwungenermaßen – über das CeBIT-Gelände läuft, dominiert vor allem ein Eindruck: Die CeBIT ist sehr, sehr groß. Nicht sehr, sehr nützlich oder sehr, sehr spannend, je nach Halle auch nicht mal sehr, sehr voll – nur eben sehr, sehr groß.

Die CeBIT bläht sich jedes Jahr – dieses Jahr durch Hinzunahme einer Musik-Show – bis zum Maximum auf – auch wenn hier die Messlatte zu Zeiten des E-Business-Booms schon mal um ein paar Tausend Aussteller höher lag. Monströse Größe um ihrer selbst willen. Saurier eben.

Der Zeit-online-Artikel kommt zu dem Schluss, dass diese Veranstaltung ihre besten Zeiten hinter sich hat. Andere Messen werden wichtiger: Ein Mobile World Congress in Barcelona für die Mobilfunkbranche, eine Computex in Taipeh für die Hardwarehersteller und -zulieferer. Ähnliches gilt für die ITSA in Nürnberg in der deutschen IT-Security-Szene oder auch Branchenmessen.

Auf all diesen Messen scharen sich die Aussteller um ein zentrales Thema. So einen klaren Fokus kann die CeBIT nicht aufweisen, will sie doch stets die nach wie vor beachtliche Größe möglichst halten. Und so laviert man ziellos zwischen Consumer- und Fachmesse – ein Schlingerkurs, der im Jahr 2008 schon die Münchner Regionalmesse Systems ins Aus führte.

Zeitgleich florieren die Hausmessen großer Hersteller wie Cisco und HP, die sich den Hannoveraner Trubel schon längst nicht mehr antun wollen. Auch mit Produktneuheiten wartet heute kaum ein Hersteller noch eine CeBIT ab, um sich dort – Tahdah! – als Innovator zu präsentieren. Dazu sind die Produktzyklen zu schnelllebig geworden.

Und dabei haben wir noch nicht mal vom bösen Konkurrenten Internet gesprochen: Dank Web, Web 2.0 und Social Media kann heute jedes Unternehmen jederzeit für seine Kunden und Partner Anlaufstelle und Ansprechpartner sein. Wer schlau ist, schart seine Community um sich, hält sie rund ums Jahr mit aktueller Information, intensiver Kundenbindung und Communitainment bei Laune – und sorgt mit User-Group-Treffen, Stammtischen und regionalen Hausmessen für den durchaus nach wie vor immens wichtigen persönlichen Kontakt. Think global social networking, act locally.

Dennoch werden die CeBIT-Veranstalter auch dieses Jahr wieder stolz Aussteller- und Besucherzahlen verkünden. Man wird zufrieden feststellen, wie hoch der Anteil des Fachpublikums war – obwohl die Aussteller immer wieder spotten über all die “Entscheider”, die in Schulklassenstärke durch die Gänge schlurfen und sich mit glasklarem Insider-Fachjargon (”Ham Sie Kugelschreiber?”) nach technischen Innovationen erkundigen.

Auch zwei Messetage voller interessanter Gespräche, netter Treffen und teils sogar Sonnenschein statt typischen CeBIT-Wetters haben deshalb meine Einschätzung bestärkt: Die CeBIT ist ein Restposten aus früheren Zeiten, ein Überbleibsel. Sie hat sich überlebt.

Man kann die CeBIT wohl einfach nur deshalb nicht zu Grabe tragen kann, weil sie dafür zu groß ist. Die Sargträger würden sich am Tyrannosaurus CeBITus einen Bruch heben. Größe um ihrer selbst willen verhindert hier den sinnvollen Neuanfang. Jenseits von Hannover/Laatzen geht nicht zuletzt dank Social Media die Evolution weiter.

Obama zwischen Web 2.0 und Schlammschlacht 1.0

Barack Obama gilt als der erste US-Präsident, der es verstanden hat, das Web 2.0 für seinen Wahlkampf zu nutzen. Presse, Websites und Blogger äußerten sich damals gerne lobend zum Beispiel über seine Präsenz auf Facebook (wo El Presidente heute knapp eine halbe Million Fans hat, dazu weit über sieben Millionen Fans auf der Seite seiner Grassroots-Bewegung “Organizing for America“).

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Heute nutzt die offizielle Site des US-Präsidenten www.whitehouse.gov das auch für Web-2.0-Szenarien beliebte Open Source CMS (Content Management System) Drupal, was für große Freude in der Drupal-Community gesorgt hat (siehe dazu hier). Das Weiße Haus twittert natürlich auch, die Tweets erreichen knapp 1,7 Millionen Followers.

Jetzt fehlt bloß noch, dass Obama auch noch seine eigene iPhone-App … upps, sorry: fehlt nicht! Auf seinem Blog meldete das Weiße Haus kürzlich, dass man die Neuigkeiten und neuen Inhalte auf whitehouse.gov nun auch via iPhone-App mitverfolgen kann, die in Apples App Store kostenlos verfügbar ist.

Obama eroberte das coole Szene-Handy mit perfektem Timing: gerade rechtzeitig vor seiner großen Ansprache, der State of the Union Address, weshalb diese auf dem White-House-Blog auch umgehend als “State of the Union 2.0” angekündigt wurde.

Das Weiße Haus bloggt, twittert, facebookt, postet Multimedia-Material, hat eine iPhone-App, man kann die whitehouse.gov-Einträge taggen und sharen, man kann die Updates als RSS-Feed bestellen (und natürlich auch ganz konventionell als E-Mail-Newsletter). Also alles Obama 2.0?

Was man auf whitehouse.gov vermisst, sind die in Social Networks üblichen Feedback-Mechanismen, etwa Kommentare zu den Blog-Einträgen, Ratings oder Diskussionsforen. Auch die iPhone-App ist ein reiner Output-Mechanismus ohne Feedback-Kanal, wie die US-Site Fastcompany.com bemängelte, die das Appchen dann auch gleich als Propaganda abtat … als ob eine White-House-Software unparteiisch sein müsste. Und als ob es in der US-amerikanischen Politik irgend einen anderen Kommunikationsstil gäbe als den kontinuierlichen Propaganda-Schlagabtausch, gerne auch mal unter die Gürtellinie, da kennen insbesondere republikanische Hardliner keine Grenze nach unten. (Einfach mal danach googeln – oder besser nicht.)

Wäre whitehouse.gov tatsächlich eine vollwertige Web-2.0-Site, böte sie die Plattform für die wahrscheinlich übelste Propaganda-Schlammschlacht seit… tja, seit dem letzten US-Präsidenten-Wahlkampf: Diffamierung 24×7, Politparolen rund um’s Jahr. Fastcompany meint zwar: “Bevor man argumentiert, dass solche Feedback-Möglichkeiten schnell in kleinliche parteiische Beschimpfungen abdriften würden, sollte man sich in Erinnerung rufen: Wenn irgend jemand in der Lage ist, ein Team von Forum-Moderatoren anzuheuern, um die Diskussionen zu überwachen, dann ist es das Weiße Haus.” Tja, und wenn für den ganzen Zirkus irgend jemand aufkommen muss, dann ist es der Steuerzahler.

Nicht jeder Einsatzfall ist für das Web 2.0 gleich gut geeignet, und kein Mensch braucht Extreme Schlammschlachting 2.0. Vielleicht ist es ja manchmal einfacher und möglicherweise sogar eleganter, sich ganz “Web 2.0″ zu geben – um sich dann aber mit Web 1.5 zufriedenzugeben.